15. Leben an Land

Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern

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Unsere Buchempfehlungen (2)

Die Hälfte der Erde

ISBN: 978-3-406-69785-2
Autor: Edward O. Wilson
Verlag: C.H. Beck Verlag
Umfang: 256 Seiten

Rezension von Sacha Rufer, umweltnetz-schweiz

Wir wussten es ja schon: E. O. Wilson kann nicht nur Ameisen, er kann vor allem auch Schreiben. In seinem neuen Buch nutzt er diese herausragende Begabung, um eine kontroverse Forderung in Stellung zu bringen…

Hand hoch: Wer kennt Edward O. Wilson? Das dachten wir uns schon – alle Hände oben. Doch für all jene, die jetzt nur aus Verlegenheit mitmachen, wollen wir ihn dennoch kurz vorstellen. E. O. Wilson ist Biologe, Schwerpunkt Ameisenforschung, und als solcher dicht mit Auszeichnungen behangen. Er ist ausserdem ein leidenschaftlicher Natur- und Umweltschützer. Das war er schon, als unsereins noch an der Startlinie die Windel zurechtzupfte. Nicht zuletzt ist er auch noch der Autor ganz vorzüglicher wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Publikationen. Diese seine neueste bildet den Abschluss einer Trilogie, deren erster Teil, „Die soziale Eroberung der Erde“, das Denken und die Weltsicht des Verfassers dieser Zeilen nachhaltig prägte.

Aber um das gleich richtigzustellen: Nein, man muss die Vorgänger nicht gelesen haben, um diesen dritten Band der Reihe zu verstehen. Denn obwohl sich hier alles recht explizit um Biodiversität und Artenschutz dreht, benötigen wir als Vorwissen nur rudimentäre Kenntnisse der Biologie. Uns diese zu vertiefen und mit Leben zu füllen, darum bemüht sich der Autor im gesamten ersten Teil seines Buches. Er tut das, wie gewohnt, nicht nur mit faszinierender Beschlagenheit, sondern steckt uns dabei auch gleich noch mit zweierlei Emotionen an: Mit seiner Begeisterung, und mit Sorge. Denn ihm, dem gewieften Feldforscher und Zeugen des Artensterbens, ist der Verlust einer Muschelart da und eines Vogels dort nicht gleichgültig. Es ist ihm als eine existenzielle Herausforderung an die Menschheit einsichtig, und aus diesem Verständnis heraus macht er uns dann einen Vorschlag. Nämlich die Hälfte der Erde zum Naturschutzgebiet zu erklären.

Hoppla! denken wir: Gleich die Hälfte der Erde? Das ist… ambitioniert. Doch bevor nun der Chor an kundigen Einwänden anhebt, wollen wir noch schnell einwerfen: Herr Wilson hat Gründe, sich hier nicht vornehm zurückzuhalten. Die rekrutieren sich einerseits aus seiner Anschauung der komplexen Verwobenheit der Beziehungen in den irdischen Ökosystemen. Diese verschliesst sich uns noch so grundlegend, dass eine Unterteilung nach ‚wichtigen‘ und ‚überflüssigen‘ Arten einer Partie russischen Roulettes gleichkäme. Andererseits entstammen sie seiner Erfahrung an der Seite grosser Umweltschutzorganisationen, die ihn lehrte, dass es selten das Klein-Klein, sondern eben die Ambition ist, die Erfolge zeitigt. Und schliesslich schreibt er sein Buch nicht nur für eine Atempause für die Erde und den Erhalt möglichst umfassender Teile der Artenvielfalt. Er schreibt es auch gegen jene erstarkten Stimmen in der Umweltbewegung, die die Bewahrung unberührter Natur als gescheitert erklären und stattdessen die ökologische Gestaltungsmacht des Menschen ins Positive verkehren möchten.

Da wir seinen unausgesprochenen Eindruck teilen, dass sich in der aufgekeimten, seltsamen Glorifizierung des „Anthropozäns“ oftmals nur Resignation ins Gewand des Optimismus kleidet, halten wir seine Gegenrede für eine wichtige. Das soll uns nicht davon abhalten, unsere Zweifel zu verlautbaren. So käme, unserer Einschätzung nach, ein Bekenntnis der Nationen, die Hälfte ihrer Landfläche ganz allein den Abermillionen Arten abzutreten, mit denen wir den Planeten teilen, einem Wunder gleich – und auf Wunder möchten wir nicht setzen. Wir teilen auch nicht uneingeschränkt die Zuversicht, die E. O. Wilson bezüglich kommender Technologien zur Versorgung der Menschheit auf der verbleibenden Landfläche hegt. Ebenfalls kommen wir nicht umhin zu bemerken, dass er sich in seiner Wahl der Daten zum drohenden Artenverlust eher auf der apokalyptischen Seite bewegt – auch wenn wir die dadurch gewonnene Intensität seiner Warnung als berechtigt fürchten. Vor allem aber melden sich Bedenken, wie sich eine verschärfte Abtrennung möglichst unberührter Naturreservate auf uns Menschen und unser Verständnis unserer Position im Lebensumfeld auswirken würde. Die Vision des Autors, uns mittels Kameras an dieser doch noch teilhaben zu lassen, halten wir für profund unbefriedigend.

Das waren nun, oha, doch eine Menge Einwürfe. Macht aber nichts. Edward O. Wilson hat erreicht, was er anstrebt und was er uns mehrmals in klaren Worten mit auf den Weg gibt: Denkt noch mal nach! Das tun wir jetzt mal. Auch dieser letzte Teil seiner Trilogie hat uns also wertvoll bereichert und wird uns demzufolge noch ein Weilchen begleiten. Wir halten es zudem für ganz entscheidend, dass wir dabei nicht allein bleiben… Augenzwinkersmiley.

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H wie Habicht

ISBN: 978-3-7934-2298-3
Autor: Helen Macdonald
Verlag: Allegria Verlag (Ullstein)
Umfang: 411 Seiten

Rezension von Sacha Rufer, umweltnetz-schweiz

Allesamt raten sie ihr davon ab. Die Abrichtung eines Habichts, sagen sie, wird dich wahnsinnig machen. Doch dann, als die Trauer um den Verlust ihres Vaters die Falknerin Helen Macdonald ohnehin an den Rand dieses Zustands drängt, wagt sie es und kauft einen jungen Habicht. Ihre Auseinandersetzung mit dem Greifvogel wird ihr – und uns – zu einer prägenden, kathartischen Reise in die Wildnisse in und um uns.

H wie Habicht ist ein Roman in dem Sinne, in dem Moby Dick ein Roman ist. Soll heissen: Genau so, wie es zu rechtfertigen wäre, Moby Dick als den Bericht einer Reise auf einem Walfänger zu charakterisieren, wäre es vertretbar, das Buch der englischen Historikerin und Falknerin Helen Macdonald als die autobiografische Aufarbeitung der Abrichtung eines Habichts vorzustellen; in den Grundzügen korrekt, aber in keinem Fall adäquat. Helen Macdonald Buch ist – bei aller Schlichtheit seiner Sprache und seinen Anleihen am Genre des populären Sachbuchs – ein literarisches Werk von erheblicher Ambition. Das hat uns, die wir in unserer Naivität einfach nur ein ‚Vogelbuch‘ erwarteten (und uns höchstens kurz verwunderten, als es auf belletristischen Bestsellerlisten auftauchte), anfänglich durchaus irritiert. Doch dann…

Die Geschichte, die uns Helen Macdonald erzählt, ist oberflächlich eine simple. Sie, anlässlich des Todes ihres geliebten Vaters aus dem emotionalen Alltagstrott in die Fährnisse zerrüttender, unzivilisierter Gefühle geworfen, sucht Trost, Halt und Identifikation bei einem Habicht. Mit ihm, bzw. ihr – denn ‚der‘ Habicht ist immer ein Weibchen, das Männchen wäre ein Terzel – lebt sie künftig in sich vertiefender Einsiedelei und Selbstentfremdung zusammen. Sie richtet sie ab, nennt sie Mabel, lässt sie fliegen und jagen und lernt schliesslich die Andersheit des Greifvogels genauso zu verorten und zu akzeptieren wie die eigene, verletzliche Menschlichkeit. Da hinein webt sie Ausführungen zum Selbstverständnis und zu den Techniken der Falknerei sowie Betrachtungen zur Lebensart, zur Wahrnehmung und zum eigensinnigen Charakter des Habichts… und immer wieder die Lebensgeschichte T.H. Whites. Er, der meistenteils unbeachtete, aber gleichwohl nie vollständig aus dem Kanon verstossene Autor; der Falkner, der nicht wusste, was er tat; der sexuell deviante, um Selbstakzeptanz ringende Mann schwimmt frei zwischen Positionen der Identifikationsfigur und des Kontrapunkts durch die Eigen- und Naturbetrachtungen der Autorin.

Da tun sich, unschwer zu erkennen, eine Menge an metaphorischen, symbolischen, kultur- und literaturrezeptiven Ebenen auf. Doch obwohl wir bei der Lektüre ein beachtliches Vergnügen daraus zogen, uns in diese zu verspinnen, wollen wir sie hier zu weitesten Teilen ignorieren und uns auf unser spezifisches Metier konzentrieren: Auf den Habicht und die sich in ihr manifestierenden Vorstellungen von ‚Natur‘ und ‚Wildnis‘. Bestärkt fühlen wir uns darin von der Autorin selbst, die es bewerkstelligt, ihre Mabel nie zur blossen Metapher ihres Gefühlslebens zu reduzieren.

Selbst im Licht dieser eindimensionalen Betrachtungsweise bleibt ihr Buch bemerkenswert vielschichtig. Genauso wenig, wie es sich angelegentlich seiner Darstellung der identitätszerschmetternden Gefühlswirrungen des Trauerprozesses in die Klischees rühriger Schicksalsberichte verirrt, mag es sich simplen Glorifizierungen oder Verteufelungen der wilden Natur ergeben. Es betreibt stattdessen die entschlossen ehrliche, zwiespältige Erkundung dieser Natur, einschliesslich unserer Position darin. Da steht dann die triumphierende Freude der Autorin über den Jagderfolg ihres Habichts nackt neben ihrem jähen, schmerzlichen Mitleid mit der verendenden Beute; und bleibt so stehen. Das Entsetzen angesichts Mabels räuberischer, ‚geistesgestörter‘ Grausamkeit mischt sich mit amoralischen Sehnsüchten und dem Entzücken ob ihrer Schönheit. Die Menschheit schliesslich, wie sie sich ihrem tastenden Zugriff präsentiert, zeigt sich neben ihrem Anspruch der kontrollmächtigen Gestalterin ihrer Umwelt genauso als eine Bande von Feiglingen, die sich beim ersten Donnerschlag in ein Erdloch zappelt. All dies mündet in eine zögerliche Einverständniserklärung, die sich nur des Einen ganz sicher ist: Unserer unentrinnbaren, beglückenden, beängstigenden Eingebundenheit in den ambivalenten Überschwang des Lebens.

Die von der Autorin mit rühmlicher Aufrichtigkeit vollzogene, sich von eingefahrenen Wertbezügen lösende Annäherung an ‚die Natur‘ ist insofern bedeutsam, da wir uns ihr als Gesellschaft aktuell wieder stellen müssen – und als Naturschützer sowieso. Wir mögen dabei zu anderen Schlüssen und Positionen als den ihren gelangen. Unfehlbar kitzelt ihr Buch die Sensibilitäten so mancher Tierschützer – auch die unseren. So stockten wir wiederholt, wenn wir die unterschwelligen Echos eines vorpreschenden Lobes der Jagd zu vernehmen meinten. Doch gerät eben auch die verbreitete Neigung, jedwede Interaktion mit einem Wildtier sogleich als Tierquälerei zu verfemen, allzu leicht nur zur Fortschreibung einer überheblichen Naturentfremdung unter umgekehrten Vorzeichen. Der Anstoss zur unerschrockenen Prüfung unserer naturschützerischen Selbstpositionierungen und Weltbilder ist – neben seinen zahlreichen literarischen Lorbeeren – das bereichernde Verdienst und die faszinierende Herausforderung dieses Buches.

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